Warum fällt der Ölpreis nicht?

Die US-Wirtschaft ist zwingend auf einen ausreichend hohen Ölpreis angewiesen, doch die OPEC und Russland wollen nicht mitspielen. Ist das der Grund für die Krisen in zahlreichen Förderstaaten der ‘zweiten Reihe’?

Der seit zwei Monaten erstaunlich stabile Ölpreis von inzwischen gut 50 Dollar ist aus US-Sicht die absolute Untergrenze, eher noch zu niedrig. Das liegt weniger an den Fracking-Unternehmen, die überschuldet sind und im Falle der Insolvenz große Löcher in die Bilanzen vieler Banken und Investmentfonds reißen würden. Als der Ölpreis 2014 zu sinken begann hieß es, die Fracker würden unterhalb von 65 oder 70 Dollar defizitär, doch haben die meisten inzwischen offenbar ausreichend “rationalisiert” aka Mitarbeiter entlassen, um auch beim aktuellen Kurs überleben zu können. Den Rest erledigen die Banken, denen offenbar von der Fed ein gnädiger Umgang mit unsicheren Kreditnehmern aus der Ölbranche nahegelegt wurde.

Die Finanzwirtschaft braucht teures Öl

Sicherlich wird diese Boombranche der US-Wirtschaft der letzten zehn Jahre vom Preisverfall ihres Produkts hart getroffen und zieht damit nicht nur viele Investoren, sondern ganze Regionen in die Tiefe. Viel wichtiger ist jedoch ein anderer Aspekt: Ein niedriger Ölpreis bedeutet auch eine geringere weltweite Nachfrage nach Dollars sowie einen geringeren Rückfluss von “Petrodollars” aus den arabischen Staaten in die Finanzmärkte. Stattdessen weisen deren Haushalte nun Defizite auf, weswegen sich die Devisenreserven Saudi-Arabiens im letzten Jahr um knapp 100 Milliarden Dollar reduzierten.

Während die hohen Öleinnahmen der Förderstaaten bisher für reichlich Nachfrage nach Staatsanleihen und anderen Dollar-Vermögenswerten sorgten, werden diese nun verkauft. Aufgrund der riesigen Volumina gefährdet das die Stabilität vor allem der amerikanischen Finanzwirtschaft, deren profitables Funktionieren auf beständig steigende Anlagesummen, Buchwerte und Kreditmengen angewiesen ist. Für andere Industriestaaten mag ein niedriger Ölpreis von Vorteil sein, für die US-Wirtschaft hingegen stellt er “dank” der zentralen Stellung des Finanzsektors eine existenzielle Bedrohung dar.

Der Preisverfall begann im September 2014, als sich ein Überangebot abzuzeichnen begann; der wirkliche Schock kam jedoch Anfang November, als die OPEC durch die nicht-Reduzierung der Fördermenge deutlichmachte, dass sie eine neue Strategie verfolgte. Diese hat sie seitdem beibehalten und trotz monatelanger Spekulationen um eine mögliche Deckelung beim Treffen in Wien am 2. Juni wieder bekräftigt. Offenbar sind insbesondere Saudi-Arabien und Russland nicht bereit, die Interessen der USA zu berücksichtigen; offiziell begründet wird das seitens Riads mit dem Wiedereinstieg des Iran in das Exportgeschäft und dem Unwillen, Marktanteile an diesen zu verlieren.

Schwimmende Öllager tragen zum Überangebot bei

Zur gestiegenen Fördermenge kommt zunehmend ein weiterer Faktor hinzu, der ebenfalls auf den Preis drückt: Als Öl im Januar und Februar zeitweise unter 28 Dollar kostete, lohnten sich für Händler und Spekulanten sogenannte “Contango”-Geschäfte: Auf dem Spotmarkt war sofort zu lieferndes Öl billiger als erst zu einem späteren Zeitpunkt fällige Ölfutures. Somit brauchte es “nur” eine geeignete Lagermöglichkeit, um durch den Kauf und sofortigen Wiederverkauf in Form von futures einen sicheren Gewinn zu erzielen. Viele Händler spekulierten jedoch auch auf einen baldigen Preisanstieg uns behielten die gekaufte Ware in den Büchern. Das so eingelagerte Öl hat inzwischen nicht nur die meisten verfügbaren Supertanker gefüllt, sondern droht auch das bestehende Überangebot noch zu vergrößern. Inzwischen müssen manche Händler Kredite aufnehmen, um die fortgesetzte Lagerung bezahlen zu können, weil der Preisaufschlag für futures gesunken ist und der sofortige Verkauf den Markt erneut einbrechen lassen würde.

Angesichts dessen erstaunt es eigentlich, dass der Preis sich bei relativ stabilen 45 bis 50 Dollar einzupendeln scheint. Die Förderung in den USA ist zwar leicht zurückgegangen, doch besteht nach Einschätzung der meisten Analysten weltweit weiterhin ein Überangebot von etwa 1 Million Barrel pro Tag (mbd) bei einer Gesamtproduktion von 95 mbd. Liegt es nur an den Händlern, die die überschüssige Menge aufkaufen, um einen Preisverfall zu verhindern? Haben gar staatliche Stellen eingegriffen, wie das ein Artikel im Wall Street Journal im Februar bereits vorschlug?

Unruhen und Gewalt in Ölstaaten der ‘zweiten Reihe’

Auf der Liste der wichtigsten Ölförderländer liegen Russland, Saudi-Arabien und die USA mit jeweils rund 10 mbd weit vorne. Dahinter folgen laut CIA World Factbook eine Reihe von ‘mittleren’ Produzenten: China (4,2), Kanada (3,9), Iran (3,6), Irak (3,4), V.A.E. (2,8), Kuweit (2,6), Venezuela (2,5)… Bei diesen scheinbar nachrangigen Ölstaaten der ‘zweiten Reihe’ lohnt sich derzeit ein genauerer Blick. Denn in vielen dieser Staaten ist die Ölförderung aus dem einen oder anderen Grund zuletzt eingeschränkt oder mindestens gefährdet.

Am dramatischsten stellt sich die aktuelle Situation in Nigeria dar: Aufgrund von Angriffen der selbsternannten Befreiungskämpfer der “Niger Delta Avengers” auf die Infrastruktur ist laut oilprice.com inzwischen gut die Hälfte der ehemals 2,4 mdb ‘offline’. Erklärtes Ziel der “Avengers” ist die vollständige Lahmlegung der Produktion, und ein Ende der Kämpfe ist nicht abzusehen. Kaum besser sieht es bekanntermaßen in Libyen aus: Von ehemals 1,6 mdb werden nach Jahren des Bürgerkriegs aktuell gerade noch 0,36 gefördert.

Doch es geht auch ohne Bürgerkriegsmilizen. In Kanada legten verheerende Brände im Mai einen nennenswerten Teil der Teersand-Gewinnung lahm. Zuvor hatte bereits ein Streik der Ölarbeiter in Kuweit einen Großteil der dortigen Produktion kurzzeitig unterbrochen. In Venezuela scheinen sich die schweren Unruhen und der Strommangel bislang ebenso wenig auf die Ölförderung ausgewirkt zu haben wie in Brasilien (2,3) die politische Instabilität, doch ist das für die Zukunft keineswegs auszuschließen.

Eine gewisse Unsicherheit besteht auch hinsichtlich der kasachischen Produktion (1,6), nachdem in den letzten Monaten massive Proteste stattfanden und vor wenigen Tagen ein Terroranschlag die nordwestliche Ölstadt Aktobe erschütterte. In Norwegen (1,6) wird derzeit über die Möglichkeit größerer Ölarbeiterstreiks diskutiert, und in Kolumbien (1,0) steht nach einem Anschlag ein Teil der Förderung bis auf Weiteres still.

Kleine Produktionsschwankung, große Wirkung

Es kann sicherlich Zufall sein – aber die Häufung von Unruhen, Rebellenangriffen und (möglichen) Streiks in Ölregionen rund um die Welt erscheint doch auffällig und lohnt mit Sicherheit eine genauere weitere Beobachtung. Zur Wahrung der Finanzmarktstabilität ist insbesondere (aber nicht nur) für die USA ein ausreichend hoher Ölpreis von entscheidender Bedeutung. Aufgrund begrenzer Lagerkapazitäten können schon ein oder zwei mdb Differenz der globalen Fördermenge den Ausschlag geben zwischen einem übersättigten und einem verknappten Markt – mit entsprechenden Preisschwankungen. Und für eine Reduzierung in dieser Größenordnung genügt in latent instabilen Staaten oder Regionen manchmal ein Funke.

What’s a little treason among allies?

Six months into the gulf coalition’s war in Yemen, victory for the invaders, once believed easy, remains a fata morgana. The true goals behind their actions remain shrouded in mystery, increasing suspicions that the various “allies” may actually be pursuing very different strategies.

On March 25th, after the definite fall of Sana’a to the northern Houthi rebels in January and their subsequent rapid advance towards southern Yemen, the coalition started its bombing campaign. Very quickly it became obvious that the targets were not only military installations, but also public buildings, residential areas and infrastructure such as markets, food depots, power plants or water treatment facilities. Especially in northern Yemen the goal seems to be not to minimize, but to maximize the suffering of the civilian population. In mid-July the gulf coalition entered the ground war, capturing Aden before pushing north- and eastwards. After some early successes, their advance seems to have stalled near Taiz and Marib, while casualties are mounting. Is there still any realistic strategy by which Saudi Arabia and its allies could succeed – or was there ever one?

Stuck in an unwinnable war

Riyadh’s official aim is to defeat ex-president Saleh’s forces and the zaydite Houthis, presumably allied with shiite Iran, and reinstall the “legitimate president” – or rather Saudi puppet – Hadi as ruler in Sana’a. However, it was obvious from the beginning that the rugged, mountainous terrain combined with the civil war experience of the adversaries would make the mission of controlling the country basically impossible. The indiscriminate bombings, some of which amount to war crimes, have done little to increase Hadi’s popularity, and with the planned assault on the capital Sana’a not taking shape, victory seems more elusive than ever.

This poses huge problems for the Saudis in several ways. The costs of the campaign place further strain on the kingdom’s finances, already in the red due to the low oil price, and the risk of fighting spreading across the border increases as the war drags on. Worse still, the apparent strategic ineptitude means a terrible loss of face for the kingdom and could make its regional allies rethink their further participation. Even within the House of Saud, doubts are growing about the policies of King Salman and his son, youthful royal “shooting star” and defense minister Mohammed bin Salman. Whether or not he believed the propaganda about a “short and winnable war” is hard to tell, but given their own Iraq and Afghanistan experiences, his supporters in Washington must have known better.

So what’s the real strategy behind it?

Some observers of the Yemen war see the current de-facto split of the country as the actual aim: If the gulf allies control its southern and eastern parts, this would open up the long-discussed possibility of building an oil pipeline from Saudi Arabia to the Yemeni port of Mukallah. Certainly not an easy feat in a war-torn country, even if the regional branches of Al-Qaeda and the “Islamic State” almost seem to act as additional ground forces for the coalition. Such a pipeline could however prove vital in the case of the Strait of Hormuz for “some reason” being blocked. So could the partitioning of Yemen be part of the preparations for a US-Saudi war against Iran? It’s not inconceivable that some in Washington and Riyadh had this in mind, even if a pipeline would take years to construct and would be useless if the oil production facilities on the gulf coast were destroyed.

So whether or not this was ever a serious consideration, it certainly isn’t any more after July 14th and the signing of the “nuclear deal” between the “P5+1“ states and the Iranian leadership. Presuming that the US government is not playing a double game and does indeed fully support the agreement, this rules out any future aggression against Iran and paves the way for the country’s fully returning to the “international community”. Both Riyadh and its staunchest supporters in Washington may have counted on a last-minute failure of the Vienna negotiations, their success thus being an unpleasant surprise for them. If indeed they were made to believe the “Yemen pipeline strategy”, they would feel more than just surprised: In their eyes it would be nothing short of treason – which could help explain their incredibly emotional opposition to the “Iran deal”.

In retrospect, this could give an entirely different meaning to the US government’s support of Riyadh’s war in Yemen: Was it actually a trap Washington set for its (former) ally, so as to keep him occupied and therefore “neutralized” during the crucial rounds of negotiations with Tehran? Saudi diplomatic obstruction might have been able to prevent the accord, but the ongoing brutal bombing campaign made them vulnerable to possible global public condemnation, thus tying their hands in other areas. Such a hidden strategy of the US government could also help to explain the rapid advance of the Houthi rebels: It was enabled mostly by the passivity of the official Yemeni army still loyal to ex-president Saleh, a long-time US ally. It is worth noting that even if Riyadh understood this double play, it had little chance of avoiding the trap: To let the fall of their ally Hadi in Sana’a go unanswered would mean a huge loss of face for the Saudis, and also their fear of encirclement by Iran’s strategic allies is most certainly genuine.

Towards the fall of the House of Saud?

With Washington’s Middle East shift marked by the “Iran deal”, Saudi Arabia is no longer a useful ally and the former strategic asset rapidly becomes a liability with which no politician wants to be associated. After being completely silent on the war in Yemen for months, media coverage is now gathering steam: The Saudi kingdom and its Wahhabism are increasingly harshly criticized since Thomas Friedman basically declared them fair game in the New York Times in early September. All that’s missing now is a hugely emotional incident that could become the catalyst of this shaming campaign and underlying policy change – the al-Saud’s “Aylan Kurdi event” so to say.

If the allegations of Russia supporting the Houthi rebels via Hezbollah are indeed true, the odds of success for the coalition drop to zero and its days are numbered. But even before that, the many cases of “friendly fire” and the reports of Al Qaeda executing fleeing coalition soldiers seem to indicate a lack of unity within its ranks. Would it be possible that Riyadh in fact has to convince its “allies” rather bluntly to continue fighting, while Qatar and the Emirates have adapted to Washington’s shift and would actually prefer negotiating a ceasefire? Should they indeed act as representatives of the US position within the “coalition”, this would also help explain why King Salman and other heads of state skipped the US-GCC summit in Camp David in May on short notice.

These apparent rifts mean that Saudi Arabia shouldn’t be too surprised by an upcoming sudden change of sides or separate ceasefire of its “allies” in Yemen. Unpleasant for sure, but Riyadh’s options at this point are extremely limited: It will have to choose between a bad one, i.e. a ceasefire, and one that’s even worse, i.e. a long and demoralizing mountain war. In the medium term, the Saudis will invariably see their kingdom’s regional role being greatly reduced, and the consequences of this humiliation will be dramatic. Without far-reaching internal reforms they may very well tear the country apart, and it is far from certain that the House of Saud is capable of this task.

 

While being partly speculative in nature, my approach to what’s happening behind the scenes of the Yemen war has the advantage of taking into account the broader changes in the world today, something that many observers fail to consider.
This article is part of a series on the ongoing geostrategic shift of the United States, epitomized by the Iran nuclear agreement, and its political and economic consequences. While most articles are in German, the following are also available in English:

Entering a new era: The Iran Deal and beyond – Examining the far-reaching geopolitical implications of the Iran „nuclear agreement“

Signs of a détente in Ukraine – Summing up and explaining the fundamental changes that have occurred in Ukraine since mid-July

Wer solche Verbündeten hat…

Ein halbes Jahr nach Beginn der Luftangriffe im Jemen ist die Strategie der Angreifer weiterhin rätselhaft. Werden möglicherweise innerhalb der Koalition sehr unterschiedliche Ziele verfolgt?

Gestern waren es genau sechs Monate, seit eine von Saudi-Arabien geführte Koalition arabischer Staaten mit der Bombardierung von Zielen im Jemen begann. Nachdem der Krieg in den Medien zunächst fast völlig ausgeblendet wurde, ändert sich dies nun langsam: Die offensichtlichen Kriegsverbrechen, insbesondere die quasi systematische Zerstörung der zivilen Infrastruktur, werden ebenso zum Thema wie die wachsende Not der Zivilbevölkerung – und nicht zuletzt die weitreichende technische und logistische Unterstützung der Angreifer durch westliche Staaten, insbesondere die USA. Mitte Juli begann mit der Eroberung von Aden auch der Bodenkrieg, geriet aber nach ersten Erfolgen bald bei Taiz und Marib ins Stocken.

Wie aufgrund der schwierigen Geographie und Bügerkriegserfahrung der Milizen im Nordwesten des Landes nicht anders zu erwarten war, scheint ein Sieg der Koalitionäre trotz technischer Überlegenheit in weiter Ferne. Über ihre Verluste gibt es keine verlässlichen Angaben, doch sind sie mit Sicherheit höher als erwartet, und der angekündigte Angriff auf Sana’a von mehreren Seiten lässt weiterhin auf sich warten.

Für die Saudis, die auf einen raschen Erfolg gehofft hatten, gleich in mehrfacher Hinsicht ein Problem: Die Kosten des Krieges belasten den ölpreisbedingt ohnehin tiefroten Staatshaushalt, und die Gefahr eines Übergreifens der Kämpfe auf das eigene Staatsgebiet wächst mit jedem Tag. Auch bedeutet die längere Dauer einen enormen Gesichtsverlust für das Königreich und dürfte dazu beitragen, den eigenen Verbündeten die Lust am Feldzug zu verderben. Selbst in der königlichen Familie wachsen die Zweifel am politischen Kurs des Königs oder vielmehr seines Sohnes, Verteidigungsminister Mohammed bin Salman. Es mag sein, dass dieser geradezu jugendliche “Shooting Star” des Hauses Saud tatsächlich an die eigene Propaganda vom schnellen Sieg geglaubt hat – seine Unterstützer in Washington jedoch müssen es besser gewusst haben.

Nun sag, wie hast du’s mit der Strategie?

Damit stellt sich weiterhin die Frage, welche Ziele Riad und Washington in diesem Krieg tatsächlich verfolgen, wenn das öffentlich propagierte “Hadi zurück an die Macht, Houthis in die Berge!” doch offensichtlich immer schon unrealistisch war. Manche Beobachter vermuten eine geplante Teilung des Landes: Wenn der Süden und Osten von den Golf-Alliierten kontrolliert würde, ergäbe sich die Möglichkeit, eine Ölpipeline von Saudi-Arabien (sowie den Emiraten) bis zum Hafen von Mukallah an der jemenitischen Küste zu bauen. Zur Sicherung dieser Region scheinen die “Terrorgruppen” AQAP und IS der Koalition de fakto als Hilfs-Bodentruppen zu dienen.

Eine Pipeline durch ein Bürgerkriegsland zu bauen ist teuer und nicht ohne Risiken, doch wäre sie in genau einem Fall von unschätzbarem Wert: falls aufgrund eines Krieges gegen den Iran die Straße von Hormuz gesperrt sein sollte. Könnte es also sein, dass die derzeit zu beobachtende Aufteilung des Jemen der Vorbereitung auf einen Irankrieg dienen soll(te)? Durchaus denkbar – insbesondere aber ist es gut möglich, dass dies seitens der US-Regierung mit den Saudis so abgesprochen war, zumal deren Sorge vor einer “Umzingelung” durch Teheran und seine Parteigänger sicherlich echt ist.

Kleiner Verrat unter Freunden?

Die Unterzeichnung des “Atom”abkommens der “P5+1”-Staaten mit dem Iran am 14. Juli änderte die Lage jedoch grundlegend. Unter der Annahme, dass Washington hier nicht mit gezinkten Karten spielt und tatsächlich hinter der Vereinbarung steht, wäre der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen dann eine äußerst unangenehme Überraschung für die saudischen Herrscher gewesen, die sie nicht zu Unrecht als “Verrat” ihrer US-Verbündeten wahrnehmen würden. Mindestens genauso böse überrascht fühlen dürften sich allerdings die Vertreter insbesondere der US-Republikaner, die stets für eine (fast) bedingungslose Kooperation mit Riad getrommelt hatten – ihre unglaublich emotionale Ablehnung des Iran-Abkommens würde das ein Stück weit verständlicher machen.

Rückblickend könnte damit die regierungsoffizielle US-Unterstützung für den Krieg der Golf-Koalition eine völlig andere Deutung erfahren: Handelte es sich am Ende um eine Falle für die (dann ehemals) mit ihnen alliierten Saudis, um diese während der wichtigsten Verhandlungsrunden mit dem Iran zu beschäftigen und gewissermaßen zu “neutralisieren”?

Diplomatische Störmanöver der mittelöstlichen Verbündeten hätten womöglich die Einigung verhindern können, doch aufgrund des Krieges waren Riad die Hände gebunden: Die Kriegsverbrechen der Luftangriffe machten das Königreich medial und diplomatisch “verwundbar”, es hätte sich also schnell am Pranger der globalen Öffentlichkeit wiederfinden können. Für die These eines doppelten Spiels der US-Regierung spricht auch der erstaunlich schnelle Vormarsch der Houthi-Rebellen: Dieser war nur möglich, weil die Armee sich ihnen nicht in den Weg stellte – welche größtenteils weiterhin dem ex-Präsidenten und langjährigen US-Alliierten Saleh ergeben ist.

Abstieg oder Untergang des Hauses Saud?

Saudi-Arabien hat aufgrund dieses Kurswechsels ab sofort als (Zweck-)Verbündeter Washingtons ausgedient und wird gerade rasend schnell vom ‘asset’ zur ‘liability’, also vom strategischen Aktivposten zur peinlichen Belastung, mit der keinE PolitikerIn mehr assoziiert werden will. Medial werden das Königreich und der Wahhabismus zunehmend harsch kritisiert, seit Thomas Friedman sie in der New York Times faktisch zum Abschuss freigegeben hat. Es fehlt eigentlich nur noch ein emotional wirkungsvolles Schlüsselereignis, das zum Katalysator dieser Umschwungs werden und den Ruf der Saudis endgültig ruinieren könnte –  gewissermaßen als saudischer “Aylan-Kurdi-Moment”.

Wenn die Behauptung stimmt, dass Russland via Hisbollah die Houthis im Jemen unterstützen wird, erübrigt sich die Frage nach den Erfolgsaussichten der “Koalition”, und ihre Tage dürften gezählt sein. Ohnehin scheint es mit ihrer Einigkeit nicht weit her zu sein, wie die verdächtig vielen Fälle von “friendly fire” und die angebliche Hinrichtung von flüchtenden Koalitions-Soldaten durch Al-Qaida nahelegen. Könnte es sein, dass Saudi-Arabien seine “Alliierten” mit einigem Nachdruck zum Weiterkämpfen überreden muss, während die Emirate und Katar den strategischen Schwenk der US-Regierung mitvollzogen haben und eigentlich den Krieg beenden würden? Sollten sie inzwischen als Vertreter der neuen Washingtoner Linie in der Golf-„Koalition” agieren, würde das auch das kurzfristige Fortbleiben von Saudi-König Salman und weiteren Staatsoberhäuptern beim US-GCC-Gipfel in Camp David im Mai im neuen Licht erscheinen lassen.

Angesichts dieser Brüche wäre ein baldiger plötzlicher Seitenwechsel oder separater Waffenstillstand seiner “Verbündeten” im Jemen-Krieg für Riad zwar mehr als unangenehm, aber keine wirkliche Überraschung mehr. Den Saudis gehen die Optionen aus; sie müssen sich zwischen einer schlechten (Waffenstillstand) und einer noch schlechteren (zermürbender langer Krieg) Möglichkeit entscheiden und sich mittelfristig auf ein deutliches Zurückstutzen ihrer Rolle im Mittleren Osten einstellen. Die Folgen dieser Schmach für das Königreich werden gravierend sein. Ohne weitreichende innenpolitische Reformen könnten sie das Land zerreißen, und es ist unsicher, ob das Haus Saud dieser Aufgabe gewachsen ist.

 

Die Einschätzung der tatsächlichen strategischen Ziele, die von den beteiligten Akteuren im Jemen-Krieg verfolgt werden, ist mangels brauchbarer offizieller Aussagen auf Spekulationen angewiesen und daher niemals definitiv. Dieser Versuch einer Erklärung berücksichtigt nicht nur die Vorgänge in der Region selbst, sondern auch die größeren (geo-)politischen Umwälzungen, die derzeit in der Welt zu beobachten sind, von den meisten Kommentatoren jedoch nicht ausreichend berücksichtigt werden.

 

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über die strategische Neuausrichtung der USA und deren politische und ökonomische Auswirkungen. Bisher erschienen:

Die neue Geopolitik – Die Folgen des #Irandeals – Eine Übersicht der geostrategischen Bedeutung des „Atom“-Abkommens der P5+1 mit Teheran

2015 als Wendepunkt – Versuch einer historischen Einordnung der aktuellen Entwicklungen

„I think we have a deal“ – Beschreibung und Deutung der veränderten Situation in Syrien

Zeichen der Entspannung aus Kiew – Auch in der Ukraine ist die Lage seit Juli eine andere

Riad & Washington – BFF no more? – Beobachtungen zum sich rapide wandelnden Verhältnis der (ehemaligen?) Verbündeten USA und Saudi-Arabien

Ist das Ende da? – Die psychologischen Auswirkungen der anhaltenden Nullzinspolitik der US-Notenbank als Anzeichen einer tiefgreifenden Systemtransformation

Startschuss zur Revolution – Der VW-Skandal könnte das Ende der Öl-Wirtschaft einläuten

Mit Al-Qaida für den Frieden – Strategische Verschiebungen auch im islamistischen Lager

Wer solche Verbündeten hat… – Der Krieg im Jemen als Falle der US-Regierung für ihre „Alliierten“ in Riad und deren Fürsprecher in Washington gedeutet