Putin / Trump

Die Ausgangsbedingungen könnten unterschiedlicher nicht sein, das Resultat ist absehbar. Aber einen Verlierer von Helsinki wird es nicht geben.

Nach fast anderthalb Jahren treffen sich Vladimir Putin und Donald Trump endlich zu einem ‘richtigen’ Gespräch. Der Sieger dieses Zweiergipfels steht schon lange fest – aber Russlands Präsident wird nicht den Fehler machen, seinen US-Kollegen bloßzustellen und ohne vorzeigbares Ergebnis nach Washington zurückzuschicken.

Die Protagonisten trennen Welten

In den letzten Wochen konnte Putin eine Reihe wichtiger diplomatischer Erfolge verzeichnen. Bei seinem Russland-Besuch bestätigte Israels Premier Netanyahu den absehbaren Deal: Tel Aviv akzeptiert, dass Assad in Damaskus an der Macht bleibt, wenn der Iran sich militärisch aus Syrien zurückzieht. Indem Moskau diesen Ausgang sicherstellt, etabliert es sich endgültig als wichtigste Ordnungsmacht und ‘power broker’ im Mittleren Osten.

Das quasi-Bündnis mit den erdölproduzierenden Staaten (“OPEC plus”) hält, trotz aller Versuche nicht zuletzt Trumps, es totzusagen und zu spalten. Im Umgang mit dem Iran und Nordkorea wird Moskau als ‘Stimme der Vernunft’ wahrgenommen und findet weltweit offenen oder stillschweigenden Zuspruch, auch in Europa. Die Fußball-Weltmeisterschaft ist da nur das Sahnehäubchen auf der Welle aus Anerkennung und Erfolg, die Putin nach Helsinki trägt.

Für Donald Trump hingegen kommt der Gipfel eher einem Gang nach Canossa gleich, ähnlich dem Besuch des damaligen Außenministers John Kerry in Sotschi im Mai 2015. Der von ihm angezettelte “Handelskrieg” mag bei seinen Wählern bisher populär sein – international ist der “mächtigste Mann der Welt” dabei, sein Land komplett zu isolieren.

Der NATO-Gipfel diskutierte über Geld und den eigenen Fortbestand, womit sich das Militärbündnis global zum Gespött machte. Nur mit offenen Drohungen konnte Trump die Verbündeten zu (bereits lange beschlossenen?) Finanzzusagen bewegen. Selbst die enge außenpolitische Partnerschaft mit Großbritannien scheint er angesichts von Theresa Mays ‘weichem’ Brexit in Frage zu stellen. Und wie lange die innenpolitische Seifenoper um angebliche “russische Einflussnahme” bei seiner Wahl noch andauern und die US-Politik lähmen soll, steht in den Sternen.

Das wahrscheinliche Gipfelergebnis werden beide als Erfolg ausgeben können

In Helsinki werden die beiden Präsidenten vor allem das bestätigen, was Netanyahu und Putin bereits vereinbart haben. Trump wird den absehbaren Abzug des iranischen Militärs aus Syrien als seinen Verhandlungserfolg ausgeben. Der Preis dafür ist die faktische Anerkennung von Assads Machtanspruch über das Land – und damit mittelfristig das Ende der US-Präsenz dort, für die es dann keinerlei Legitimation mehr gibt.

Auch auf anderen Politikfeldern könnte es dank sich überschneidender Interessen durchaus eine Annäherung geben. Trump fordert immer wieder lautstark, der Ölpreis müsse sinken – damit könnte Moskau sich wohl anfreunden, da es die weltweite De-Dollarisierung beschleunigen würde. Beide wollen Entspannung und auf längere Sicht Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Beide sind skeptisch gegenüber der EU und hofieren europäische Rechtsaußen-Parteien. Und selbstverständlich sind sich beide einig, dass bei Trumps Wahl zum Präsidenten alles mit rechten Dingen zuging. Eigentlich gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches, ach was: das großartigste, erfolgreichste und historischste Gipfeltreffen aller Zeiten. Jedenfalls wenn man Trump fragt.

Verlierer von Helsinki werden die Neocons in Washington, London und anderswo sein – und die US-Finanzwirtschaft, sollte der Gipfel mittelfristig tatsächlich den Ölpreis fallen lassen.

Friedensprozess auf palästinensische Art

Der Taliban-Anführer Mullah Mansur wurde in Pakistan von einer Drohne getötet. Angeblich. Wurde damit auch der 2015 begonnene Verhandlungsprozess torpediert?

Der Pressesprecher des Pentagon hat es als erster vermeldet, es folgten Regierungsstellen in Kabul und der afghanische Geheimdienst. Inzwischen haben es auch ranghohe Talibanvertreter bestätigt: Mullah Mansur, erst seit zehn Monaten offiziell Nachfolger von Mullah Omar als Talibanchef, ist tot. In West-Pakistan wurde er von einer US-Drohne getötet, unter Bruch der Souveränität des Landes.

Ob diese Meldung so stimmt oder nicht ist irrelevant…

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Keine Einigung in Doha – wirklich?

Das mit Spannung erwartete “OPEC-plus”-Treffen am letzten Sonntag hat kein Ergebnis hervorgebracht, so zumindest die offizielle Version. China reibt sich die Hände.

Dieser Artikel ist die Fortsetzung von „Dreiecksdiplomatie und große Zaubershow“ vom 15. April.

Nachdem die Abschlusserklärung des OIC-Gipfels in Istanbul von einer stark anti-iranischen Rhetorik geprägt war, hat Teheran die Öl-Gespräche im katarischen Doha faktisch boykottiert und Riad seine Drohung wahrgemacht, in diesem Fall keiner Deckelung der Förderung zuzustimmen. Am 15. April hat die New York Times, sicher nicht ohne Absprache mit der Regierung, den Druck noch einmal erhöht, indem sie die saudische Drohung mit dem Verkauf von US-Staatsanleihen im Fall der Legalisierung von 9/11-Prozessen gegen das Land veröffentlicht hat.

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Dreiecksdiplomatie und große Zaubershow

In dieser Woche scheinen die Zeichen im Mittleren Osten auf “grand bargain” zu stehen. Ob er erfolgreich ist, werden wir nach den Doha-Ölgesprächen am Sonntag wissen.

Wenn der heute beendete OIC-Gipfel in Istanbul die verfeindeten Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien einander nähergebracht hat, macht das auch Fortschritte bei den Genfer Syrien-Verhandlungen wahrscheinlicher. Möglich macht dies vermutlich der derzeitige “subtile” US-amerikanische Druck auf Riad, der sich für Washington in Form höherer Ölpreise bezahlt machen könnte – sehr zur Erleichterung der Energie- und Finanzwirtschaft. Dass im Zuge dessen die Ukraine und Libyen neue Regierungen bekommen und im Jemen eine diplomatische Lösung näherrückt, wird da fast zur Nebensache.

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Irgendwie Frieden

Trotz mancher Skepsis öffnet die Feuerpause tatsächlich den Weg zu einem dauerhaften Frieden. Und sie markiert die Kapitulation westlicher Politik im Mittleren Osten.

Seit Samstagmorgen Null Uhr schweigen die Waffen in Syrien, nachdem im letzten Moment noch der UN-Sicherheitsrat Grünes Licht für die russisch-amerikanische Vereinbarung gegeben hatte. Russland hat angekündigt, seine Angriffe für 24 Stunden auszusetzen: Damit soll den „gemäßigten Rebellen“, die sich an der Feuerpause beteiligen, die Möglichkeit gegeben werden, sich von den Islamisten von al-Nusra und IS abzusetzen in die vereinbarten Gebiete, die nicht bombardiert werden sollen, wo sie sich auf Verhandlungen mit der Regierung vorbereiten können. Der Krieg gegen die radikalen Dschihadisten hingegen wird weitergehen, und er wird schnell und hart sein: Denn diese bekommen immer weniger Unterstützung aus dem Ausland, und nicht wenige von ihnen dürften sich nun den Bart abrasieren und die Fahne wechseln.

Ein Wunder? Vielleicht, aber ein vorhersehbares.

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Prügelknabe Erdogan

Alle sind sich einig: Die Türkei ist der unberechenbare Aggressor in Syrien, und ohne ihren megalomanischen Präsidenten wäre der dortige Krieg leicht in den Griff zu bekommen. Wenn es doch so einfach wäre.

Welche Wahl hat Erdogan noch? Nicht nur seine AnhängerInnen in der Türkei erwarten von ihm, dass er seinen markigen Worten nun Taten folgen lässt und in den syrischen Krieg eingreift. Doch dürfte ihm und seinen Beratern klar sein, dass diese Mission ebenso schmerzhaft wie aussichtslos wäre. Könnte es sein, dass genau darin das Kalkül der Attentäter von Ankara und ihrer Hintermänner besteht: Die Türkei und Russland in ein langwieriges Kräftemessen zu verwickeln, um sie so strategisch zu neutralisieren?

Seit einer Woche halten Ankara und Riad die Welt in Atem: Planen sie tatsächlich einen Einmarsch nach Nordsyrien? Die Saudis haben angekündigt, dass sie sich mit Spezialkräften an einer US-geführten Invasion beteiligen würden, und die Türken beschießen, vermeintlich in Vorbereitung eines Einsatzes von Bodentruppen, seit Samstag Stellungen von Kurden und syrischer Armee nördlich von Aleppo mit Artillerie und angeblich auch Kampfflugzeugen. Derweil verkünden die Europäer, dass sie Ankara nicht in einem selbstverschuldeten Krieg unterstützen würden, während Washington sich diplomatisch zurückhält.

Der schwere Anschlag mit einer Autobombe in Regierungsviertel von Ankara am Mittwoch- abend, dem mindestens 28 Soldaten zum Opfer fielen, setzt Erdogan unter Zugzwang: Er hat sich schnell auf einen Schuldigen festgelegt; angeblich sei die Bombe von einem der YPG nahestehenden syrischen Kurden dort platziert worden. Die syrische Kurdenmiliz bestreitet dies, und inzwischen hat sich eine radikale Abspaltung der PKK namens “Freiheitsfalken Kurdistans” (TAK) zur Tat bekannt. Die türkische Luftwaffe hat als Reaktion auf den Anschlag erneut PKK-Ziele im Nordirak bombardiert, doch dürfte es in Ankara großen Druck auf die Regierung geben, weitergehende Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen.

Alles scheint damit bereit für den großen Showdown im syrischen Bürgerkrieg: Nachdem Moskau zu Gunsten seines Schützlings Assad eingegriffen hat, könnte sich nun Ankara seinerseits einschalten, anstatt nur über den offenen Grenzabschnitt Waffen und Kämpfer für die diversen Rebellengruppen ins Land zu schleusen. Da Erdogan als größenwahnsinnig und impulsiv angesehen wird, wird ihm auch eine eine direkte militärische Konfrontation mit Russland zugetraut. Doch bei Lichte betrachtet sollte klar sein, wer hier den Sieg davontragen würde, und es drängt sich die Frage auf, ob die türkische Führung das ernsthaft wollen kann. Was wird hier eigentlich gespielt?

Folgenreicher Abschuss oder: Wer zuerst zuckt, hat verloren

Als Ende November die türkische Luftwaffe ein russisches Kampfflugzeug abschoss, hatte die Welt einen neuen Buhmann: Erdogan handele unverantwortlich und bringe damit die Region einem wirklich “großen” Krieg nahe, so der allgemeine Tenor. Die helfende Zuarbeit der US-Militärs, die den Türken den russischen Flugplan übermittelt hatten, änderte nichts daran, dass die NATO ihrem Mitgliedsland in der Folge deutlich zu verstehen gab, dass es für solche Abenteuer keine Rückendeckung der Allianz gibt. Russland nutzte die Gelegenheit sofort und installierte moderne Flugabwehrraketen in Syrien, womit es seine Lufthoheit mindestens im Westteil des Landes festigte.

Auch veröffentlichte Moskau Fotos, die das Ausmaß des IS-Ölschmuggels in die Türkei belegten – spätestens seitdem ist Ankaras Unterstützung für den “Islamischen Staat” und andere radikal-islamische Milizen in Syrien ein allgemein anerkanntes “offenes Geheimnis”. Diese Fokussierung auf Ankaras Rolle im syrischen Krieg hat jedoch die prinzipiell ebenfalls bekannte Unterstützung der Islamisten durch Katar, Saudi-Arabien und – zumindest indirekt – auch die USA aus dem Blick geraten lassen. Auf Kritik an der Türkei können sich plötzlich scheinbar Alle einigen – aber war diese jemals mehr als eine Durchgangsstation, ja ein Werkzeug in diesem Konflikt? Sicherlich haben Armee und Geheimdienst (nicht nur) zugesehen, wie das Land zur Logistik-Drehscheibe für IS und Co. wurde – aber es stellt sich durchaus die Frage, ob Ankara sich dem überhaupt hätte entziehen können, ohne selbst zur Zielscheibe der Terroristen zu werden.

Wem würde Ankaras Kriegseintritt tatsächlich nützen?

Zurück zur aktuellen Eskalationsdynamik. Wer hätte ein strategisches Interesse daran, die türkische Armee in den Kampf um Aleppo hineinzuziehen? Ankara dürfte bewusst sein, dass dies ein Himmelfahrtskommando mit vermutlich desaströsem Ausgang wäre. Ohne die Gewissheit, dieses Mal von den NATO-Partnern unterstützt zu werden, sind damit schwerlich mehr als symbolische Attacken auf das Territorium der Nachbarstaaten zu erwarten. Auf der anderen Seite verspüren auch die syrische Regierung und ihre russischen und iranischen Helfer sicherlich keinen Drang, sich einen weiteren potenten Gegner ins Land zu holen.

Aus Sicht mancher Kurdenfraktionen hingegen könnte es durchaus strategisch zielführend erscheinen, ihren Feind in Ankara in einen Krieg mit einem überlegenen Gegner zu verwickeln: Wenn sich die türkische Armee irgendwann geschlagen aus Syrien zurückziehen müsste, würde das in Ankara zweifelsohne schwere politische Turbulenzen auslösen, in deren Folge die Chancen für eine kurdische Staatsgründung steigen dürften. Könnte am Ende wirklich etwas dran sein an der türkischen Behauptung, der Artilleriebeschuss kurdischer Stellungen sei lediglich eine Reaktion auf Angriffe von dort über die Grenze?

So erscheint der Anschlag auf den Militärkonvoi in Ankara im neuen Licht: Es scheint, als wolle jemand die Türkei als direkten Teilnehmer in den syrischen Krieg hineinzwingen, indem die politische Stimmung im Land durch “Nadelstiche” immer weiter zugespitzt wird, bis Erdogan irgendwann keine andere Option mehr hat – obwohl er sehr genau um die Aussichtslosigkeit der Mission weiß. Für eine solche Taktik kämen einerseits radikale kurdische Splittergruppen in Frage, andererseits aber auch jene Kräfte, die sich bisher hinter Ankaras Unterstützung für islamistische Milizen versteckt haben – namentlich Saudi-Arabien sowie mit diesem verbündete Kräfte innerhalb der NATO.

Diese hätten so die verlockende Chance, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Russland und Iran würden in einem längeren Krieg geschwächt, der ihren Einfluss auf die derzeit stattfindende strategische Neuordnung des Mittleren Ostens schmälern würde, während die unter Erdogan allzu “eigensinnige” Türkei als Regionalmacht wohl neutralisiert würde. Derweil würde auf globaler Ebene Moskaus Ansehen stark beschädigt, während sich die westlichen Staaten als verantwortungsvolle Friedensvermittler profilieren könnten. Dass der Bau einer Gaspipeline vom Iran nach Europa damit auf Jahre blockiert wäre, während gleichzeitig der Ölpreis deutlich steigen würde, sollte ebenfalls nicht vergessen werden.

Europa muss Ankara aus der Zwickmühle helfen

Damit ist Erdogan in einer wenig beneidenswerten Situation, eingeklemmt von inneren und äußeren Zwängen, in der er nur zwischen unterschiedlich schlechten Optionen wählen kann. In seinem Kampf ums politische Überleben kann er es sich kaum erlauben, zimperlich zu sein, und so überrascht es wenig, dass er die in seinem Land gestrandeten Flüchtlinge skrupellos als politisches Druckmittel gegenüber den Europäern einsetzt. Sicherlich hat er sich durch seine Großmachtphantasien und eine gewisse Portion Naivität auch selbst in diese Lage gebracht, aber das ändert nichts daran, dass die Türkei im syrischen Krieg bisher eine Schlüsselrolle spielte und auch bei seiner Lösung spielen kann.

Ankara kann trotz aller Rhetorik keinen “großen” Krieg gegen Russland riskieren, und damit ergeben sich neue und teils überraschende Interessenüberschneidungen. Nicht nur, aber gerade Europa sollte daher Erdogan entgegenkommen und eine Lösung mit und nicht gegen ihn suchen – keine leichte Mission angesichts der Tatsache, dass der türkische “Sultan” inzwischen quer durch das politische Spektrum unpopulär wie kaum ein Zweiter ist. Doch ihn in die Ecke zu treiben, so dass ihm irgendwann keine andere Wahl als die militärische “Flucht nach vorn” mehr bleibt, wäre erst recht verheerend und würde letztlich nur der saudischen Konkurrenz als “lachendem Dritten” nützen. In der Außenpolitik kann man sich seine Verbündeten eben nicht immer aussuchen.

Sanft entschlummert

Die NATO hat sich überlebt, kaum jemand versteht heute noch ihren Sinn. Nach dem Scheitern in Afghanistan weitgehend handlungsunfähig, wird sie wohl in den kommenden Jahren ob ihrer Inaktivität in der Bedeutungslosigkeit versinken. Eine Entwicklung, die Hoffnung macht – aber keinesfalls forciert werden sollte.

Anspruch und Wirklichkeit am Hindukusch

Ende 2001 begann die NATO im Gefolge der Terrorangriffe des 11. September den größten Einsatz ihrer Geschichte: Die Eroberung und anschließende langjährige Besetzung Afghanistans. Das geostrategische Kalkül dahinter war zweifach: Zum einen wollten die westlichen Staaten der Welt damit ihre globale “robuste” Einsatzfähigkeit demonstrieren, und damit auch ihren gobalen Machtanspruch. Zum anderen sollte durch die militärische Präsenz die faktische Kontrolle über Zentralasien übernommen werden, um so nicht zuletzt die Herausbildung eines geschlossenen asiatischen Blocks um Russland, China und den Iran zu verhindern. Unsicher ist, inwiefern auch der geplante Bau oder, was realistischer scheint, die Verhinderung des Baus von Gaspipelines eine Rolle spielte, etwa vom Iran nach China. Ein weiterer Grund dürfte außerdem im Selbsterhaltungstrieb der NATO als Organisation zu suchen sein: Nach dem Ende des Kalten Krieges war deren Sinn trotz der Balkankriege zunehmend unklar geworden, und ohne eine erkennbare Aufgabe bzw. einen erkennbaren Feind wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ihre Daseinsberechtigung offen in Frage gestellt würde.

Seit dem Beginn des Krieges hatte die NATO 14 Jahre Zeit, der Welt ihre Fähigkeiten und ihren Dominanzanspruch zu demonstrieren. Die Welt beobachtete interessiert – und sie sah, dass die NATO ebenso wie zuvor die Sowjets an der Aufgabe scheiterte, Afghanistan unter Kontrolle zu halten. Diese Unfähigkeit zur erfolgreichen Machtprojektion in einer strategisch zentralen Weltregion hat dem Ansehen des Militärpakts enorm geschadet und war sicherlich ein Hauptgrund dafür, dass sich das Bündnis seither auf keine größere Operation mehr einigen konnte. Zwar sind auch nach dem offiziellen Ende des Kampfeinsatzes (Ende 2014) Soldaten im Rahmen einer “Ausbildungs- und Unterstützungsmission” am Hindukusch und auch anderswo auf der Welt gab und gibt es neue Einsätze, doch bleiben diese letztlich überschaubar und weit hinter den eigenen Ansprüchen der NATO als “globale Ordnungsmacht” zurück. Die Zweifel am Sinn ihres Weiterbestehens werden daher wieder lauter, zumal derartige “peanuts” wohl auch problemlos von einzelnen Staaten übernommen werden könnten.

Ein Bündnis auf der Suche nach Feinden

In den letzten Jahren wurde verstärkt das aufstrebende Russland (sowie implizit auch China) zur neuen “Bedrohung” der “freien Welt” hochstilisiert, wobei selbst innerhalb der westlichen Länder umstritten ist, ob nicht die NATO mit ihrer Expansion Richtung russische Grenze selbst die Hauptursache für diese neue Konfrontation ist. In anderen Staaten ist die Sicht naturgemäß eine andere, hier wird das westliche Militärbündnis immer stärker als destabilisierender Unsicherheitsfaktor angesehen. Angesichts der angeblichen russischen “Aggressivität” verstärkt die NATO seit einiger Zeit ihre Präsenz in Osteuropa – doch können die markige Rhetorik mancher ihrer Vertreter sowie eine Reihe von Manövern in der Region nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Lichte betrachtet um eher symbolische Akte ohne nachhaltige praktische Auswirkungen handelt. Ein größerer Einsatz zur Unterstützung der neuen ukrainischen Regierung, der zeitweise durchaus denkbar schien, konnte von den Europäern glücklicherweise abgewendet werden.

Der Luftkrieg zum Sturz des libyschen Machthabers Gaddafi im Jahr 2011 mag zwar offiziell eine NATO-Mission gewesen sein, doch beteiligten sich de fakto nur wenige Staaten daran – außerdem fiel das Resultat derart katastrophal aus, dass sich die damals beteiligten Mächte wie auch die Bündnisspitze heute nur ungern daran erinnern. So richteten sich in den letzten Jahren aller Augen umso stärker auf den Konflikt in Syrien (und seit 2014 auch im Irak): Würden die Mitgliedsstaaten sich auf einen gemeinsamen Kriegseinsatz einigen können, um die westliche Vorherrschaft im Mittleren Osten zu verteidigen und dem Militärbündnis eine neue Langzeit-Aufgabe zu verschaffen – und damit auch neue Daseinsberechtigung? Die Antwort auf diese Schicksalsfrage des Nordatlantikpakts hat die französische Regierung nach den Terroranschlägen vom 13. November gegeben, als sie vier Tage darauf den “Bündnisfall” ausrief – jedoch nicht den der NATO, sondern den europäischen nach Artikel 42 des Lissabon-Vertrages. Dass Paris seine militärische Reaktion mit Moskau (und damit indirekt auch Damaskus und Teheran) koordiniert unterstreicht weiter, dass es sich sehr bewusst gegen eine Antwort im Rahmen der NATO entschieden hat, auch wenn teilweise dieselben Luftwaffen beteiligt sein werden.

Der Warschauer Pakt als Vorbild für friedliche Auflösung

Das nordatlantische Militärbündnis fällt damit in Ermangelung einer weltpolitischen Rolle, auf die seine Mitglieder sich einigen könnten, immer weiter ins Koma, während Teile der Allianz sich für ihre Vorhaben nach anderen Bündnissen und Kooperationspartnern umsehen. Damit ähnelt der aktuelle Zustand der NATO verblüffend dem Warschauer Pakt in den achtziger Jahren: Auch diesem ging damals die gemeinsame politische Perspektive abhanden, während sich einige seiner Mitglieder bereits in Richtung neuer Kooperationen und Bündnisse orientierten. Diese Entwicklung zu akzeptieren und nicht zu versuchen, sie gewaltsam aufzuhalten, bleibt ein historischer Verdienst der KPdSU-Führung und insbesondere Gorbatschows, der kaum hoch genug angerechnet werden kann.

Entscheidend für diese friedliche Auflösung war, dass das Bündnis sich über einen längeren Zeitraum freiwillig zurückzog und so durch längere Inaktivität gewissermaßen “sanft entschlummerte”. Es ist gut möglich, dass “aggressive” vorzeitige Ablösungsversuche einzelner Mitgliedsstaaten die Hardliner in Moskau gestärkt und so eine gewaltsame Reaktion gegen die “Abtrünnigen” provoziert hätten. Wer weiß, ob Gorbatschow überhaupt eine Chance bekommen hätte, wenn im Gefolge der polnischen Solidarnosc-Bewegung eine oder mehrere osteuropäische Regierungen den Bruch mit Russland forciert hätten? Wir werden es wohl nie erfahren. Doch wenn die Idee des “aus der Geschichte Lernens” überhaupt einen Sinn hat, dann sollte die westliche Welt sich heute an diese Erfahrungen des ehemaligen Ostblocks erinnern. Auch heute sollte die Devise sein, in Ruhe abzuwarten und die NATO allmählich in der Versenkung und den Geschichtsbüchern verschwinden zu lassen. Denn der Versuch, ihre Auflösung vehement zu beschleunigen, könnte furchtbare Konsequenzen haben.

Putin, übernehmen Sie.

Die russischen Luftangriffe künden von einem Epochenbruch weit über den Mittleren Osten hinaus. Doch die Debatte wird von den völlig falschen Fragen beherrscht.

Seit dem 30. September bombardieren russische Sukhois Stellungen des “Islamischen Staats” und anderer bewaffneter Gruppen in Syrien. Hauptziel ist offiziell der IS, doch sind aller internationalen Kritik zum Trotz auch die Angriffe auf (teils vom Westen ausgerüstete) “Rebellen” durchaus einleuchtend: Nach militärischer Logik dienen diese der Sicherung der zunehmend prekären Positionen der Regierungsarmee im Westen des Landes sowie als eindringliche Warnung an Milizen, die versucht sein könnten, im Windschatten des Krieges gegen den IS eigene Offensiven zu starten.

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Medienverantwortung in Konflikten

Massenmedien tragen Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung und müssen das berücksichtigen – selbst wenn es im Extremfall zu Lasten der Objektivität geht.

“Medien berichten so objektiv wie möglich und ermöglichen es so den BürgerInnen, sich eine eigene Meinung zu bilden.” – Das mag ein beliebtes Idealbild ist, ist aber letztlich nur eine “schöne” Illusion: Medien mit einer gewissen Reichweite können niemals neutral sein. Allein durch die Auswahl der Themen, denen sie mehr oder weniger große Beachtung schenken, treffen sie bereits eine (nicht selten unbewusste) politische Entscheidung. Verstärkt wird dies noch durch die Art der Präsentation, also die Wahl der Aspekte und Akteure, die in den Fokus gerückt werden, und die verwendete Sprache – das sogenannte “Framing” eines medialen Themas. Schon im Alltag des politischen Geschäfts hat die Art der Berichterstattung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung und trägt damit dazu bei, gesellschaftlichen Druck auf politische EntscheidungsträgerInnen aufzubauen und deren Handlungen zu beeinflussen. Weitaus zugespitzter stellt sich dies jedoch in akuten Konfliktsituationen dar, in denen Medienberichte oft entscheidend dafür sind, dem Publikum eine bestimmte Lesart des Konflikts (und oft auch die “Schuldigen”) zu präsentieren und somit Handlungsdruck aufzubauen, der die Politik meist im- oder explizit in eine bestimmte Richtung drängt und/ oder die einzelnen Menschen selbst zu bestimmten Verhaltensweisen animiert. Viele Medien versuchen in solchen Situationen noch nicht einmal mehr, den Anschein von Neutralität zu wahren – und denen, die es doch versuchen, gelingt dies eher selten.
Ob sie es wollen oder nicht: Medien haben einen politischen Einfluss, sie haben Macht – und damit tragen sie auch Verantwortung für die möglichen Folgen ihrer Berichterstattung.

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Signs of a détente in Ukraine

(Deutsche Version des Artikels: „Zeichen der Entspannung aus Kiew„)

The strategic situation in the country has fundamentally changed since two events in mid-July. Rather than the long-feared further escalation, mid-term prospects now signal easing tensions. The reasons for this détente are mostly exogenous.

On July 13th, after a shoot-out with police resulting in several deaths, president Poroshenko ordered the disarming of the militias of the “Right Sector”. The organization subsequently demonstrated in Kiev and called for an insurgency against the government to “finish the revolution”, but failed to mobilize more than a few hundred (or thousand, depending on source) supporters.

The political power struggle between oligarchs and ultra-nationalists was thus quickly decided. The split between them had been obvious at least since February’s second Minsk Agreement: By signing it, Poroshenko had basically accepted the autonomy of the Donbas and promised an end to fighting as well as reforming the constitution – much to the dismay of right-wing hard-liners in politics and militias like “Azov”. While the government in Kiev has since been very ambiguous about the agreement, it was clear that without much stronger NATO support sooner or later it would have no choice but to actually implement it. Due to the political and economic instability and strong nationalist criticism, doing so wouldn’t come without risk for Poroshenko, even though he seemed to have adopted a more pragmatic stance ever since Minsk I, if only to conserve his power and wealth. In March there had been a first showdown which resulted in Ihor Kolomoisky, one of Ukraine’s richest oligarchs, losing his post as governor of Dnepropetrovsk.

The second important decision was taken on July 16th, when parliament unexpectedly voted for a constitutional reform to decentralize the country, as provisioned in the Minsk Agreement. This meant that local elections in the Donbas region, autonomous yet recognized by Kiev, suddenly became conceivable – and it also shed a different light on the fact that the Donetsk governor had just been replaced in June. At the same time, Kiev politics also saw some new faces, possibly reflecting changing power relations. In June, the heads of the Kiev police and the country’s security service lost their jobs, followed in July by the health minister and the head of the air force. While unconfirmed, there are rumours about a possible major cabinet reshuffle in autumn.

Changing international background

The main obstacles on the road to a more permanent ceasefire have hence disappeared. Since it’s hardly plausible that the Kiev government would so suddenly change its mind, the explanation likely has to be sought in some change of the international situation. After all, it can’t be ignored that Poroshenko’s bankrupt Ukraine is completely dependent on Europe and the US – economically, and therefore also politically.

The western partners had in previous months grown increasingly impatient with Kiev’s incapability of pushing through reforms and fighting corruption. Now, it seems as though they have made Poroshenko understand there’s no more delaying the inevitable, no more excuses for not meeting his obligations under the February agreement. This would constitute a strategic realignment of utmost significance, and pave the way for improved NATO-Russia relations in the medium run.

It is safe to assume that Moscow has given something in return for having the risk of war on its southern flank greatly diminished. The “agreement” with Greece in its struggle with the creditors has been reached in the same week, as has the vital nuclear agreement with Iran – in both cases it can’t be ruled out that Russian influence played a key role in securing the deals. Or was it even some “grand bargain” involving various current conflicts?

Meanwhile on the front

After a renewed attempt at negotiating a withdrawal of heavy arms in late July had failed, mid-August saw what many called the fiercest fighting in months. The government army was said to have shelled the cities of Donetsk and Gorlovka especially heavily, while the separatists had supposedly started an offensive to gain territory north of Mariupol. Should this be the beginning of a renewed escalation, possibly full-scale war, that many had feared for months?

No. The aforementioned political changes imply that Kiev has nothing to win in Donbas any more and is tightening its control over the various fighting units to prevent them from „going rogue“. The rebels would very probably have the capability to gain ground, but certainly not Moscow’s consent. So quite contrary to these pessimistic first impressions, any dramatic deterioration of the situation has since July become highly improbable, even impossible.

The latest round of clashes may have signalled a certain correction of the front line, e.g. to avoid further shelling of Donbas cities. Another explanation might be that we witnessed a last-ditch effort of the nationalist militias, whose only hope of retaining their power position would now to initiate an immediate and drastic escalation of the civil war. Without much support in either the government, the population or abroad, they will quite certainly fail. Which would be good news for Ukraine, who’s been taken hostage by violent extremism for far too long already.

I wrote this article in mid-August (in German), when everyone was telling me that a return to all-out war was all but inevitable and imminent. As things stand, the ceasefire in place since September 1st seems to hold. While it’s certainly too early to say this proves my point, I’d like to point out that so far my predictions in this entire crisis have been fairly reliable. So maybe I do have a point.